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„Das ist Volkskultur“

Kurt Tschiderer ist Volkskundler aus Überzeugung

Bürgermeister, Funktionär, Kulturarbeiter – Kurt Tschiderer aus Pettneu hat sich schon in vielen Funktionen bewiesen. Vor allem aber hat er aus volkskundlicher Sicht vielfach überzeugende und weitreichende Arbeit geleistet. Seine ehrenamtlichen Bemühungen im Kultursektor wurden bereits mehrfach von der UNESCO-Kommission aufgegriffen.
19. Juli 2021 | von Daniel Haueis
„Das ist Volkskultur“<br />
LR Johannes Tratter übergibt Kurt Tschiderer bei einem Festakt im Landhaus den Tiroler Volkskulturpreis. Foto: Land Tirol/Brandhuber
Von Markus Wechner

Geboren 1953, wuchs Kurt Tschiderer in einfachsten Verhältnissen in Pettneu auf. Sein Interesse galt schon früh der Öffentlichkeit, und so kam er auch bald mit dem Vereinsleben in Kontakt. „Ich war überall da, wo der Rauch aufging“, so Tschiderer, der sich rückblickend in manchen Episoden seines Lebens als Enfant terrible bezeichnet. Trotz der ärmlichen Umstände wurde es ihm ermöglicht, eine höhere Schule zu besuchen. Nach dem Abschluss absolvierte er die pädagogische Akademie in Zams und wurde Lehrer an der Sonderschule in Landeck. „Mir war es immer ein Anliegen, auch Kindern mit geistigen, körperlichen oder auch sozialen Defiziten Chancen zu geben“, erklärt Tschiderer. In den 1980er-Jahren lernte er schließlich seine spätere Gattin kennen, mit der er mittlerweile seit 40 Jahren verheiratet ist und die ihm laut eigenen Aussagen die Vielfalt in seinem Leben erst ermöglicht hat. In seiner weiteren Karriere war Kurt Tschiderer Lehrer an der Volksschule Pettneu und von 1992 bis 2000 Bürgermeister.

KULTUR UND DORFLEBEN. Das Interesse für die Dorfkultur wurde von seinem Taufpaten geweckt, der als Gemeindesekretär arbeitete und sich mit seinen Bestrebungen und Nachforschungen für die Aufarbeitung der Dorfgeschichte einsetzte. Auf dieser Grundlage wurde im Jahr 2000 beispielsweise die Hangertstube ins Leben gerufen, eine Veranstaltung, bei der sich monatlich zahlreiche Leute versammelten, um über die Vergangenheit und über die Entwicklung der Gemeinde zu reden. „Das hat einen gro-ßen volkskulturellen Wert“, ist Kurt Tschiderer überzeugt. Tschiderer führte zudem 17 Jahre lang den traditionsreichen Skiclub Pettneu und organisierte Veranstaltungen, die weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus bekannt wurden. Auch beim Projekt Kunstraum war Kurt Tschiderer von Stunde Null an mit an Bord. Mit diesen Räumlichkeiten wollte man einen Platz für Kunst und Kultur und nicht zuletzt für das Zusammentreffen der Menschen schaffen, was mit den fast monatlich wechselnden Ausstellungen mehr als gelungen ist. Da Pettneu auf eine große Theatertradition zurückblicken kann, engagierte sich Kurt Tschiderer auch hierfür und führte mit der Heimatbühne Pettneu großartige Komödien und Tragikomödien auf. Ein nennenswertes Highlight war das Stück „Seelenzoll“, das in Schnann aufgeführt wurde. Mit diesem Freiluftschauspiel fuhr man einen überwältigenden Erfolg ein und trug gleichzeitig ein Stück weit zur Geschichtsaufarbeitung bei.

VOLKSKUNDLER AUS ÜBERZEUGUNG. Besonders viel Beachtung verdienen darüber hinaus Kurt Tschiderers Bemühungen um das immaterielle Kulturerbe. Er war und ist nach wie vor maßgeblich an der Erarbeitung, Erschließung und Dokumentation kultureller Praktiken beteiligt, die von der UNESCO-Kommission folglich ins immaterielle Kulturerbe aufgenommen wurden. 2017 gelang dies etwa mit der Almwirtschaftsgemeinschaft Zweidrittelgericht, die eine jahrhundertelange Tradition hat und sowohl Landschaft als auch Gesellschaft geprägt hat. Auch die Rieselbewässerung im Tiroler Oberland hat eine lange Geschichte und wurde ebenfalls auf Anhieb von der UNESCO ins Register aufgenommen. Diese Technik ermöglichte eine effiziente Nutzung des kostbaren Gutes Wasser und ermöglichte somit überhaupt erst die inneralpine Landwirtschaft. Parallel dazu wurden tirolweit von den Chronisten Flurnamen aufgenommen und diese geografisch auf der Flurnamenkarte Tirols zugeordnet und festgehalten. Auch diese Namenerhebung wurde 2019 ins Verzeichnis aufgenommen. Darüber hinaus kam Kurt Tschiderer an handschriftliche Texte eines Nikolausspiels, das letztmals 1926 in Flirsch aufgeführt wurde. Mit dem Krampusverein Pettneu wurde es in kurzer Neufassung wieder aufgeführt. Auch das Nikolausspiel wurde im Verzeichnis der UNESCO bereits festgehalten. Aktuell arbeitet Tschiderer an der Aufnahme des Scheibenschlagens, das nach wie vor in den Bezirken Landeck, Reutte und Osttirol praktiziert wird. Kurt Tschiderer hat mit kontinuierlicher und konsequenter Arbeit im Bereich der Volkskultur bereits vieles bewegen können. Ihm geht es nicht um laute Marktschreierei, sondern um das Schaffen eines Bewusstseins. So ist es auch nicht die große Geschichte mit Zahlen und Fakten, die ihn interessiert, sondern die wirkliche Geschichte, die das Leben geschrieben hat. Es sind oft die Kleinigkeiten, die einen großen Glanz ausstrahlen: „Das ist Volkskultur – das, was hier gewachsen ist, das, was die Leute bewegt“. Vom Land Tirol wurde Kurt Tschiderer vergangenen Mittwoch der mit 5.000 Euro dotierte Tiroler Volkskulturpreis 2021 verliehen – -siehe Kästchen „Verleihung des Tiroler Volkskulturpreises“.



Verleihung des Tiroler Volkskulturpreises 2021

(dgh) Kurt Tschiderer wurde für seinen Einsatz zugunsten der Förderung und Bewahrung heimischer Traditionen der Tiroler Volkskulturpreis 2021 verliehen. Der für das Traditionswesen zuständige LR Johannes Tratter über-gab ihn Tschiderer bei einem Festakt im Landhaus und sagte: „Die Volkskultur ist ein fester Bestandteil des Gemeinschaftslebens, die zur Identität des Landes beiträgt. Der Volkskulturpreis dient als Zeichen der Wertschätzung und macht die Bedeutung der Volkskultur für das kulturelle Leben Tirols sichtbar. Wir brauchen in unserem Land Persönlichkeiten wie Kurt Tschiderer, die sich mit Leidenschaft und Herz für die Tiroler Traditionen, die Tiroler Volkskultur und die Bewahrung für die nächsten Generationen einsetzen.“ Der Ortschronist Pettneus, Betreuer des Gemeindearchives und Chronist des Musikbezirks Landeck gründete 2005 den Kunstraum Pettneu und fungiert seither als Obmann. 1978 war Tschiderer Mitbegründer der Heimatbühne Pettneu, wo er auch selbst Theaterrollen übernahm. Besonders aktiv zeigt sich der heute ausgezeichnete Kulturbegeisterte in den letzten Jahren für die Belange des immateriellen Kulturerbes der österreichischen UNESCO-Kommission. „Kurt Tschiderer, der von 1992 bis 2000 auch als Bürgermeister von Pettneu tätig war, ist über die Gemeindegrenzen hinaus als herausragender Teamplayer bekannt. Er leistet oftmals Pionierarbeit, übt sich in der Öffentlichkeit jedoch stets in Zurückhaltung und lässt anderen den Vortritt“, so LR Tratter.




 
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Für die musikalische Umrahmung der Verleihung sorgten Musiker aus Pettneu: Emanuel Mathies, Aurelia Mathies, Wilhelm Schranz und Lukas Spiß (v. l.). Foto: Land Tirol/Brandhuber
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Kurt Tschiderer bedankt sich bei seiner Rede im Rahmen der Verleihung des Tiroler Volkskulturpreises allen voran bei seiner Familie für die Unterstützung. Foto: Land Tirol/Brandhuber

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