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Sehnsuchtsort mit Konfliktpotenzial

Mehr als 15.000 Rinder, Schafe u. ä. werden auf die mehr als 100 Almen im Bezirk aufgetrieben

Die Almsaison beginnt. Als Wanderer darf man sich auf ein Glas Kuhmilch, Almkäse oder Almbutter freuen – als Auftreiber auf ruhigere Tage im Stall, hoffentlich ohne Angst wegen Kuhangriffen, Wolfsrissen & Co.
7. Juni 2022 | von Daniel Haueis
Sehnsuchtsort mit Konfliktpotenzial<br />
Die Alm: Ort der Sehnsucht und der Produktion ausgezeichneter Lebensmittel, aber auch gedeckter Tisch für Wolf & Co. RS-Foto: Archiv
Von Daniel Haueis

Im Bezirk werden 108 Almen und Gemeinschaftsweiden bestoßen. Besonders stark ist Landeck bei den Sennalmen mit Milchverarbeitung und Käseproduktion: 26 gibt es, das ist fast die Hälfte Tirols. Hinzu kommen sechs Kuhalmen mit Milchablieferung, weiß Bezirks-Landwirtschaftskammer-Chef Peter Frank. Aufgetrieben wurden in den letzten Jahren im Schnitt 5.500 Schafe, 600 Ziegen sowie 800 Pferde, das Gros sind Rinder: 8.500, davon 2.000 Milchkühe. Es werden also rund zwei Drittel des Kuhbestandes im Bezirk und fast der gesamte Bestand an Jungvieh, Schafen, Ziegen und Pferden auf Alm geschickt. Die Auftriebszahlen sind relativ stabil, gerade bei Schafen und Rindern (Ausnahme: Milchkühe mit minus 15 Prozent), bei Pferden und Ziegen gibt es sogar Zuwächse. Die Alm ist aber weit mehr als Sommerfrische für Nutztiere: Forschungen im Bereich Almwirtschaft und Tourismus zeigen, dass die bewirtschafteten Almen für Einheimische und Gäste ein Sehnsuchtsort sind. Und das hat nicht nur mit der landschaftlichen Schönheit zu tun – Almkäse und -butter sind sehr gefragt. „Die Leute kennen und schätzen den Qualitätsvorsprung der Almmilchprodukte, deren Gehalt an gesundmachenden Inhaltstoffen einfach unschlagbar ist“, berichtet Frank. Auf den Landecker Sennalmen werden den gesamten Almsommer über eine Million Kilogramm Milch gemolken, die zu ca. 90.000 kg Käse und ca 30.000 kg Butter veredelt werden. Aber das ist nur eine Seite der Medaille.

NUTZUNGSKONFLIKTE. Der allgemeine Personalmangel deutet sich auch bei den Jobs am Berg an: „Personal zu finden ist eine laufende Herausforderung, wobei auf den meisten Almen zum großen Glück sehr bewährtes Stammpersonal arbeitet“, berichtet Peter Frank. Aufgrund der Beleibtheit bei Wanderern haben Almleute auch immer wieder Aufklärungsarbeit zu leisten: Zehn Verhaltensregeln für den Umgang mit Weidevieh werden mit Hinweisschildern und Flyern unter die Leute gebracht. Positiv: Durch Anpassungen im Bereich Tierhalterhaftung und des Tiroler Almschutzgesetzes hat sich die Rechtssicherheit für die Almbauern verbessert. Nutzungskonflikte sind durch die unterschiedlichen Zugänge aber vorprogrammiert. „Für die Zukunft ist eine gute, vorausschauende Kommunikation mit gemeinsamen Projekten, die viele Akteure einbinden entscheidend. Denn die Anzahl der Nutzer, die sich im Bereich der Almen und Wälder bewegen, wird ja nicht weniger“, sagt Frank. Die Alm ist und bleibt Wirtschaftsraum und Erholungsraum.

WOLF. Und die großen Beutegreifer wirken sich ebenfalls aus. Es haben sich im Bezirk Landeck zwar nur einzelne Bauern entschieden, ihre Schafe nicht mehr zu alpen, und die vergangenes Jahr erstmals durchgeführten Herdenschutzprojekte werden fortgeführt. Aber: „Eine Gefahr sehe ich mit den Herdenschutzmaßnahmen auf uns zukommen und dazu gibt es ja schon einiges an Erfahrungswerten aus der Schweiz: der Herdenschutz trainiert den Wölfen die Furcht vor dem Menschen ab. So gibt es in unserem Nachbarland leider unzählige Übergriffe auf Herden, trotz Behirtung und Hund. Die Wölfe haben eben schon gelernt, da passiert uns nichts“, sagt Frank. Aber gerade die Schafhaltung ohne Weide und Alm werde nicht funktionieren, „also müssen wir alles daran setzen, damit es die Berglandwirtschaft und den besiedelten ländlichen Raum auch in Zukunft noch gibt“. In Sachen Abschussmöglichkeit geht indessen kaum was weiter: „Da hat sich die Situation gegenüber dem Vorjahr nicht wirklich verändert“, sagt Frank. So kann nur nachträglich geholfen werden: „Leider melden sich Wolf und Bär nicht vor dem Rissgeschehen an, und so ist es praktisch nicht möglich, vorbeugende Maßnahmen zu setzen. Ein Notfallteam ist ständig in Bereitschaft und kann nach einem Rissgeschehen der betroffenen Alm bei der Umsetzung der Erstmaßnahmen helfen.“ Die Botschaft der Landwirtschaftskammer an alle Almbewirtschafter lautet aber weiterhin: „Auf der Alm bleiben“. Nachsatz: „Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, auch wenn es heuer wiederholt zu Rissen kommen wird.“


Herdenschutz
Die Herdenschutzprojekte im Bezirk Landeck bleiben nach wie vor die einzigen in Tirol. Die Hirten werden die Weideführung und den Ablauf heuer zum Teil anpassen. Adaptierungen gab es im Bereich der Infrastruktur (Hirtenunterkunft, Wasserversorgung etc.). Nach der beabsichtigten Projektlaufzeit von fünf Jahren wird ein Gesamtbericht in puncto Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit notwendig.
 
Sehnsuchtsort mit Konfliktpotenzial<br />
LK-Chef Peter Frank: „Die Leute kennen und schätzen den Qualitätsvorsprung der Almmilchprodukte, deren Gehalt an gesundmachenden Inhaltstoffen einfach unschlagbar ist.“ RS-Foto: Archiv

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