Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Einer der ganz Großen seiner Zeit

Eine Ausstellung im Wiener Leopold Museum würdigt auch einen Maler mit Außerferner Wurzeln: Rudolf Wacker

Innerhalb der Geschichte des 20. Jahrhunderts spielen sie im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit eine eher untergeordnete Rolle: die Jahre zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg, zwischen Monarchie und Faschismus in seinen verschiedensten Erscheinungsformen. Blickt man auf sie, dann in erster Linie unter dem Aspekt der Wirtschaftskrise. Auf dem Gebiet der Kunst handelte es sich freilich nicht um eine Phase des Niedergangs, sondern vielmehr um eine Zeit des Umbruchs und Aufbruchs. Und mittendrin war ein Künstler mit Außerferner Wurzeln: Rudolf Wacker.
5. April 2021 | von Von Jürgen Gerrmann
Wie ihr Mann Rudolf ein großer Bewunderer Rudolf Wackers: Dr. Elisabeth Leopold (hier vor dem „Herbststrauß mit Christusfigur“ – aus dem Lechtal übrigens) des Malers mit Wurzeln im Außerfern).    RS-Foto: Gerrmann
Von Jürgen Gerrmann

Das arbeitet zurzeit eine Ausstellung im berühmten Leopold Museum im Wiener Museumsquartier wunderbar heraus. „Menschheitsdämmerung“ heißt sie und nimmt damit (so Pressesprecher Klaus Pokorny) den Titel einer lyrischen Anthologie der expressionistischen Dichtung auf, in der unter anderem Georg Trakl vertreten war und die unter anderem von Egon Schiele und Oskar Kokoschka illustriert worden war. Sie präsentiert Werke der Zwischenkriegszeit, von denen der Arzt und große Kunstsammler Dr. Rudolf Leopold „am meisten angetan war“, wie Pokorny sagt:  Anton Kolig, Herbert Boeckl, Gerhart Frankl, Anton Faistauer, Josef Dobrowsky, Hans Böhler, Alfred Wickenburg und Sergius Pauser. Los geht’s freilich mit keinem von denen, sondern mit zwei Tirolern: Alfons Walde und Albin Egger-Lienz. Direktor Hans-Peter Wipplinger, der die Ausstellung kuratierte, gelang damit ein Überraschungscoup. Und quasi eine kulturelle Ehrenrettung dieses Bundeslandes, dessen Beitrag zur österreichischen Kunst er gleich zu Beginn würdigt: Tirol ist eben mehr als Ischgl. Von Saal zu Saal wächst da das Staunen über die künstlerischen Leistungen dieser wirtschaftlich kargen Zeiten, in denen man sich auch der Schatten des Übervaters Gustav Klimt mit seinen schwelgerisch-schönen Bildern befreite.

WURZELN IN OBERGARTEN. Erst nach und nach wird den meisten bewusst, welch bedeutende Rolle Rudolf Wacker dabei spielte. Dessen Vater Romedius stammte übrigens aus Obergarten und machte als Baumeister in Bregenz Karriere, ein anderer Zweig der Familie lebt heute noch im Außerfern. Über sein (tragisches) Leben (er starb 1939 nur 46-jährig nach Hausdurchsuchung und Gestapoverhör an einem Herzinfarkt) hat die RUNDSCHAU schon berichtet, aber seine Bedeutung für die österreichische Kunstgeschichte wird vielleicht erst dank dieser Ausstellung so richtig deutlich. „Das ist eine ganz andere Hand, ein ganz anderer Zugang“, schwärmt Klaus Pokorny zum Beispiel, wenn er auf die Gemälde Wackers blickt: seien es der Herbststrauß mit Christusfigur (der schon von einem Todesahnen geprägt zu sein scheint), das frühe Stillleben mit Puppe und Hund oder die „hysterische Puppe“, „Ilse im Zimmer“ (alle von 1923) oder das Breite Tor (1929) und der Hof des Fuhrmanns (1932), alles hat seinen eigenen Stil, ist im Grunde unverwechselbar: „Altmeisterlich, aber reduziert“, beschreibt Pokorny, der Wacker für einen „erstaunlich eigenständigen Künstler, einen der herausragendsten und individuellsten seiner Zeit“ hält.
Die RUNDSCHAU hatte das Glück, vor Wackers Bildern auch Dr. Elisabeth Leopold, die Witwe (und sicher auch Beraterin des Museumsgründers) zu treffen. Sie arbeitet mit ihren stolzen 95 Jahren noch an einem Katalog zur „Menschheitsdämmerung“ und ordnet den fast schon vergessenen Wacker ebenfalls als „einen der bedeutendsten Künstler Österreichs in der Zwischenkriegszeit“ ein. Als Repräsentant der „Neuen Österreichischen Farbmalerei“, wie sie diese Kunstepoche nicht müde wird zu bezeichnen, habe er geradezu zur Identifikation Österreichs nach dem Schock des Zusammenschrumpfens der k.u.k.-Weltmacht zu einer kleinen Republik, dem Tod der großen Künstler Klimt und Schiele und dem Weggang Kokoschkas nach Dresden beigetragen.

GANZ EIGENE MYSTIK. Diese Leere hätten die Künstler dieser Ausstellung gefüllt, einige zur sogenannten „Neuen Sachlichkeit“ tendiert und versucht, sie in Richtung eines „magischen Realismus“ zu verändern. Keinem sei das indes so meisterhaft gelungen wie Wacker, der auch in seinen Landschaften eine ganz eigene Mystik verankert habe – wie etwa in der verfallenen Hütte am Bodensee. Zudem sei er auch ein großartiger Zeichner gewesen, wie seine Bilder aus der Kriegsgefangenschaft in Tomsk in Sibirien bewiesen. Auf beiden Feldern, Malerei wie Zeichnung, gehöre Wacker zu den ganz Großen seiner Zeit. Die neue Farbmalerei habe die erste Republik mitgeprägt: „Österreich definiert sich mit all diesen Malereien als Kulturland. Das hat also sogar einen weltgeschichtlichen Akzent.“ Im vergangenen Jahrzehnt hat Rudolf Wacker, der zeitlebens darunter litt, dass sich seine Bilder so schlecht verkauften, eine geradezu unglaubliche Wertsteigerung auf dem Kunstmark erlebt. Mittlerweile werden um die 300 000 Euro für eines seiner Gemälde bezahlt. Elisabeth und Rudolf Leopold wandten sich ihm indes schon früh zu. „Mir geht es auch nicht um Wertsteigerung, sondern um Wertschätzung“, sagt sie mit großer Bestimmtheit. Aber warum hat es die nicht schon viel früher gegeben? „Zunächst haben die Nazis diese Kunst verfemt. Und nach dem Krieg haben alle nur ins Ausland und nur nach den Abstrakten geschaut. Für die Zwischenkriegszeit hat sich kaum jemand interessiert. Der erste, der diese Künstler wieder gesammelt hat, war Rudolf Leopold. Sie sind ein ganz wichtiger Teil unserer Sammlung.“ Und damit auch Rudolf Wacker mit seinen gegenständlichen und dennoch mystischen Bildern, die von Einsamkeit, Sehnsucht, Melancholie, wunderschönen Landschaften, aber auch Sexualität erzählen. Ob es daran liegt, dass er gerade auch 72 Jahre nach seinem Tod den Menschen von heute ganz nah ist? Vielleicht näher denn je.

INFO. Die Ausstellung „Menschheitsdämmerung“ ist (so es Corona erlaubt) noch bis zum 24. Mai mittwochs bis sonntags sowie feiertags von 10 bis 18 Uhr im Leopold-Museum in Wien zu sehen.

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