Rundschau - Oberländer Wochenzeitung
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Ist Lesen noch zeitgemäß

Sind Bücher Auslaufmodelle? Haben wir in einer informamtionsüberfrachteten Umwelt, in der im Minutentakt Nachrichten auf uns einprasseln, die Geduld und Fähigkeit verloren in Bücher einzutauchen?

Lesen ist DIE wichtigste Kulturkompetenz überhaupt. Ohne sie könnten wir unseren Alltag nicht bewältigen und blieben von wirtschaftlichem Fortschritt und beruflichen Aufstieg ausgeschlossen. Aber was ist gemeint mit „Lesen“?. Welche verschiedene Formen davon gibt es? Wie wird heute dieses komplexe Thema in den Schulen „gehandelt“? Und vor allem: Wie kann sich das Lesen in Zeiten digitaler Medien behaupten?
29. Jänner 2024 | von M. Färber
Ist Lesen noch zeitgemäß
Die Bücherei Reutte – ein beliebter Treffpunkt für kleine Leseratten.
Foto: Bücherei Reutte
LESEN IST NICHT GLEICH LESEN. Es gibt viele Formen davon: das schnelle, überfliegende Querlesen, das „Fact-Checken“ von E-Mails und Internetnews, das hastige Konsumieren von Messages und ja, dann gibt es da noch das langsame, „tiefe“ Lesen, für das es uns immer schwerer fällt Ausdauer und Geduld aufzubringen, weil wir es in unserer schnelllebigen Welt zu verlernen drohen. Führende Leseforscher warnen davor: Der „Flow“ des vertiefenden Lesens, das den Leser in die Handlung hineinzieht, gehe durch digitale Medien verloren, es komme zur „shallowing hypothesis“, weil wir gewohnt sind, im Umgang mit digitalen Medien unsere Aufmerksamkeit nicht so stark zu fokussieren. Erwiesen ist, dass Lesen stressreduzierend und konzentrationsfördernd wirkt. „Das vertiefte Lesen ist für mich neben guter Unterhaltung auch Wissensvermittlung und Horizonterweiterung in alle Richtungen“, fasst Frau Sonja Kofelenz, seit 20 Jahren engagierte Leiterin der Bücherei Reutte, zusammen. Und sie muss es wohl wissen.

DIE BÜCHEREI REUTTE. 8500 Medien stehen hier derzeit zum Verleih, zudem 2500 in der Studienbibliothek als Präsenzbestand. Das Angebot ist digital erfasst und kann über die Webseite www.buecherei-reutte.at eingesehen werden. Derzeit verzeichnet die Bücherei Reutte 840 eingetragene Leser, von denen mehr als ein Drittel Kinder bis 14 Jahre und ca. 5 Prozent Jugendliche (15 – 18 Jahre) sind. Um Kinder zum Lesen zu motivieren findet monatlich eine spezielle Veranstaltung statt, die jedes Mal auf regen Zuspruch stößt. Seit 1. Jänner 2024 gibt es auch Tonies zum Ausleihen. Mit den Schulen des Bezirks herrscht reger Austausch, es finden laufend Workshops und Führungen statt. Einen deutlichen Unterschied stellt Kofelenz bei der Auswahl der nachgefragten Genres fest: Männliche jugendliche Leser würden vor allem Abenteuer- und Detektivgeschichten bevorzugen, während weibliche Jugendliche öfter zu Fantasy- und Liebesromanen greifen. Insgesamt bleibe quer durch alle Altersschichten der Krimi am beliebtesten.

ANALOG VERSUS DIGITAL? „Nicht das Medium macht die Freude am Lesen aus“, sagt Maryanne Wolf, eine führende Lesewissenschafterin, „sondern die Frage, ob Kinder und Jugendliche eine Umwelt erleben, in der Lesen zählt.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass nur jeder vierte jugendliche Leser auf E-Books zurückgreift. Studien belegen, dass zwar der Inhalt des Gelesenen auf E-Books gleich gut in Erinnerung bleibe wie der auf Papier, nicht aber die Chronologie der Handlung. Es fehle beim E-Book-Lesen das aktive Vor- und Zurückblättern um Details in das Geschehen einordnen zu können.
Abseits von digitalen Lesemedien wie E-Book, Hörbuch, Tonie, etc. gibt es viele Bereiche, in denen sich digital und analog ergänzen anstatt zu konkurrieren. So existieren zahlreiche Leselern-Apps, Quizzes, aber vor allem Plattformen wie „Goodreads“, „Fanifikation“, „Lovely Books“ oder „Wattpad“, auf denen sich Leserinnen und Leser über Bücher austauschen. Was früher in sogenannten Teesalsons, Literaturkreisen oder im TV stattfand, passiert heute also im Netz: Lesende teilen ihre Eindrücke und tauschen sich aus. Lesen ist und bleibt also auch ein sozialer Akt und weiterhin „in“. Der deutschsprachige Büchermarkt ist nach dem englischen und chinesischen der drittgrößte weltweit und weist 300 Neuerscheinungen täglich auf. Das Buch ist also alles andere als tot.

WAS PASSIERT MIT UNSERER SPRACHE? Auch wenn das Lesen keineswegs „out“ ist und es noch etliche Vielleser (ca. 20 Prozent) gibt – laut Statistik vornehmlich weiblich, über 50 Jahre und im ländlichen Raum angesiedelt – haben die digitalen Medien inzwischen deutliche sprachliche Spuren hinterlassen. WhatsApp, Instagram, Snapchat, Tiktok und Facebook - gemäß Jugend-Internet-Monitor-Studie die beliebtesten Kommunikationsforen von Jugendlichen – haben zu einer drastischen Verringerung bzw. Veränderung ihres Sprachschatzes geführt: Anglizismen (vor allem im Bereich Computer und Musik), unvollständige Sätze sowie die Unkenntnis von Konjunktiv, dem richtigen Gebrauch der Fälle, von Nebensätzen und Passivformen dominieren. Weiters unterscheiden Jugendliche laut Sprachwissenschaftern nicht mehr zwischen schriftlichem und mündlichem Ausdruck und haben keine Kenntnisse mehr von gängigen Fremdwörtern, Redewendungen sowie Metaphern. Fazit: Einen Kinderbuchklassiker wie zB von Erich Kästner mit 10 – 12jährigen, die sich hauptsächlich im Web bewegen, zu lesen, erweist sich heutzutage als äußerst schwierig. Gleichaltrige Leseratten tauchen aber ohne Probleme und mit viel Vergnügen in die spannende Welt von „Emil und die Detektive“ und „Das doppelte Lottchen“ etc. ein und erweitern dabei nicht nur ihren Horizont, sondern ihren Wortschatz und ihre Sprachkompetenz.

DIE SCHULE DES LESENS IST EINE SCHULE DES LEBENS. Namhafte Lesewissenschafter sind sich einig, dass die Motivation für das Lesen lange vor dem Eintritt in die Schule stattfindet: Regelmäßiges und konsequentes Vorlesen sowie eine Umwelt, in der Lesen zählt, seien der erste und wichtigste Schritt zur Erreichung von Lesekompetenz. Dies bestätigen auch viele junge, engagierte Eltern, die ich diesbezüglich befragt habe. Vorlesen und die Bedeutung von Büchern im Alltag führen Kleinkinder in einen mühelosen und erfolgreichen schulischen Leseunterricht und wecken lebenslang das Interesse für das Lesen. Was heißt das aber umgekehrt? Kinder aus bildungsfernen Schichten sind von Anfang an im Nachteil. Österreich sticht in puncto Bildungsvererbung europaweit besonders negativ hervor und liegt auf einem traurigen drittletzten Rang (vor Ungarn und Bulgarien). Hier sind Bildungspolitik und Gesellschaft dringend gefordert.

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